Polen: Radio Maryja droht Entzug der Sendelizenz

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(KI-Kurzversion): Polen entfacht derzeit eine Debatte um den katholischen Radiosender „Radio Maryja“. Roman Giertych, Anwalt und Abgeordneter der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), fordert den Entzug der Sendelizenz des Senders. Er sieht das Konkordat zwischen Polen und dem Vatikan, das die Trennung von Kirche und Staat garantiert, durch Radio Maryja verletzt. Der Sender, betrieben von Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk, steht in der Kritik, offen Propaganda für die regierende PiS-Partei zu betreiben und erhebliche staatliche Subventionen zu erhalten.

Die Entscheidung über den Lizenzentzug obliegt der polnischen Landesmedienanstalt KRRiT, deren fünfköpfiger Rat mehrheitlich dem rechtskonservativen Lager angehört. Die Zusammensetzung des Rates erschwert eine Entscheidung gegen Radio Maryja. Eine Änderung könnte erst nach der Präsidentschaftswahl 2025 möglich sein, falls ein neuer Präsident weniger geneigt ist, gegen eine solche Entscheidung sein Veto einzulegen.

Giertych, einst Unterstützer von Radio Maryja, kritisiert die enge Verflechtung von Kirche und Staat in Polen und fordert die Einhaltung der Unabhängigkeit des Staates. Er bezeichnet die finanzielle Unterstützung der Kirche durch den Staat als „strukturelle politische Korruption“. Seine Forderungen reflektieren die breitere Diskussion über den Einfluss der Kirche auf die polnische Politik.

Mit der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr könnte sich die politische Landschaft verändern und den Forderungen nach einer klareren Trennung von Kirche und Staat neuen Auftrieb geben. Der Fall Radio Maryja verdeutlicht die Herausforderungen, die die Verflechtung von Religion, Politik und Medien für die demokratische Ordnung in Polen darstellt.


Roman Giertych (Bild: YouTube / Roman Giertych)
Roman Giertych (Bild: YouTube / Roman Giertych)

Das Konkordat zwischen der Republik Polen und dem Vatikan verpflichtet den Staat und die katholische Kirche zur gegenseitigen Achtung des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Autonomie. Diese sieht der polnische Politiker Roman Giertych verletzt und fordert auf X, „Radio Maryja“ die Zulassung zu entziehen. Giertych, Rechtsanwalt und heutiger Sejm-Abgeordneter der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), gehörte vor 15 Jahren dem Gunstkreis des erzkonservativen, christlichen Radiosenders an.

Radio Maryja ist ein landesweiter polnischer Hörfunksender, der zum Medienimperium des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk gehört. Neben Radio Maryja unterhalten auch 47 Diözesen, Orden und Kirchengemeinden eigene katholische Hörfunksender in Polen. Rydzyk ist Miteigentümer des Fernsehsenders „TV Trwam“ und Gründer der Hochschule für Sozial- und Medienkultur, an der u.a. Informatik, Journalismus und Kommunikation, Politologie, Recht, Medizin sowie Pflegewissenschaften unterrichtet werden.

Giertychs Forderung kann frühestens in einem Jahr umgesetzt werden, dann wählen die Polen einen neuen Präsidenten. Der amtierende Präsident Andrzej Duda kann nach zwei Amtsperioden nicht wiedergewählt werden. Duda ist parteilos, wurde jedoch von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt und kündigt an, alle Gesetzesvorhaben der regierenden Koalition vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Die Kohabitation gestaltet sich in Polen schwierig.

Landesmedienanstalt und ihr Rat

Die Zulassung kann nur die polnische Landesmedienanstalt KRRiT entziehen. Vier von fünf Mitgliedern ihres Rates werden dem rechtskonservativen Lager zugeordnet und würden die Zulassung von Radio Maryja niemals entziehen. Zu groß ist die Macht des Senders.

Das fünfköpfige KRRiT-Gremium kann nur abgesetzt werden, wenn beide Parlamentskammern, Sejm und Senat, mehrheitlich den KRRiT-Jahresbericht ablehnen und der Präsident binnen 14 Tagen die Absetzung nicht stoppt. Im Jahr 2024 lehnten Sejm und Senat den Jahresbericht ab, der Präsident nutzte sein Vetorecht. Das Gremium wurde im Amt belassen. Ein neues Mediengesetz könnte das Gremium vergrößern, um die bisherigen Mitglieder zu überstimmen. Giertych setzt auf den Sieg eines neuen Präsidenten, der von seinem Vetorecht keinen Gebrauch machen wird. Dann wird der Rat der KRRiT von beiden Kammern und dem Präsidenten neu besetzt.

Die Vorwürfe

Giertych erinnert, dass die Präambel des Konkordats und das Zweite Vatikanische Konzil die katholische Kirche verpflichtet, sich nicht in politische Prozesse eines Staates einzumischen. Das gilt für individuelle und kollektive Tätigkeiten des Klerus. In Polen werde der Vertrag offen von Radio Maryja und den privaten Medien des Paters Rydzyk verletzt. Seit Jahren organisiert dieses Radio offene Propaganda für die PiS-Partei, die mit hunderten Millionen Zloty die privaten Institutionen des Paters finanzierte.

Der größte katholische Radiosender und andere katholische Medien wurden verwandelt in ein unreflektiertes und aufdringliches Sprachrohr der PiS-Propaganda. Die Herausgeber jener Medien verkaufen den Zugang zu den Ohren der Gläubigen, damit Politiker Stimmen erhalten. Auch in der Kurie traut sich kaum jemand, Pater Rydzyk zu kritisieren, schreibt Giertych. Offene Kritik erlaubte sich der 2013 verstorbene Primas Polens, Józef Kardinal Glemp; andere Bischöfe schweigen oder unterstützen offen den Redemptoristenpater.

Einst Koalitionäre – heute Feinde

Während der „Doppelherrschaft“ der Zwillinge Lech und Jarosław Kaczyński (Präsident und Ministerpräsident) war Giertych stellvertretender Ministerpräsident Polens. Seine damalige Partei „Liga Polnischer Familien“ trat im Jahr 2006 in eine Koalition mit der PiS und der Partei „Selbstverteidigung der Republik Polen“ ein. Ein Jahr später wurde die Koalition beendet, Neuwahlen ausgerufen.

Korruption

Die „strukturelle politische Korruption“ dürfe der Staat nicht hinnehmen, meint Giertych. Die größte Religionsgemeinschaft Polens genießt zahlreiche Privilegien, aus denen sich Verpflichtungen ergeben, u.a. die Unabhängigkeit des Staates zu respektieren. Diese grundlegende Verpflichtung werde dennoch offen und demonstrativ nicht eingehalten. Die katholische Kirche habe sich offen am Wahlkampf der PiS-Regierung beteiligt. Auf dem Klarenberg in Tschenstochau, dem bedeutendsten Wallfahrtsort der römisch-katholischen Kirche Polens, forderte Kaczyński Gläubige auf, seine Partei zu unterstützen. Bischöfe in liturgischen Gewändern saßen daneben.

„Das ist ein Sakrileg“, wirft Giertych dem Klerus vor, während Stanisław Gądecki, Erzbischof von Posen und Vorsitzender der polnischen Bischofskonferenz, dem Anwalt und Politiker emotionales Handeln aufgrund eines erlittenen Schadens vorwirft. Giertych veröffentlicht die Kommunikation mit dem Erzbischof auf X. Da Giertych die katholische Kirche in Polen kritisiert, sprechen ihm katholische Publizisten den Glauben ab; trotz vieler Schikanen bekennt er sich zum Katholizismus und konservativen Werten, aber auch zum Rechtsstaat.

Autonomie des Staates

Der Staat solle entschieden reagieren, fordert er und schlägt vor:
„Da Redemptoristen die Unabhängigkeit und Autonomie des Staates nicht akzeptieren, hat der Staat keinen Grund, ihnen Zugeständnisse, Privilegien oder Subventionen zu gewähren.“

Nach der Präsidentenwahl im kommenden Jahr soll der Lizenzentzug eine der ersten Entscheidungen sein, die getroffen werden müssen. Eine mögliche Gewährung der Zulassung an eine andere kirchliche Einrichtung könnte nur unter der Bedingung erfolgen, dass das Konkordat eingehalten wird.

Einst Geschäftsleute – heute Feinde

Giertych erinnert an seine Erfahrungen mit dem Redemptoristenpater in seiner Funktion als Rechtsanwalt. Er habe Rydzyk in verschiedenen Angelegenheiten vertreten. Rydzyk verhalf ihm, seine nationalistische, katholische und klerikale Partei „Liga Polnischer Familien“ (LPR) zu gründen und zu bewerben. Der Konflikt zwischen beiden brach aus, nachdem die LPR in den Sejm eingezogen war.

„Rydzyk ist größter Oligarch im PiS-Staat“
(Roman Giertych)

Giertych wollte Rydzyks personelle Vorschläge nicht befolgen und auch keine Subventionen aus Haushaltsmitteln überweisen. „Ich hielt es für einen de facto korrupten Vorschlag,“ erinnert er sich. Daraufhin soll Rydzyk gedroht haben, ihn zu zerstören. Die PiS nutzte seinen Widerstand und gewann die Gunst des Redemptoristenpaters. PiS hatte keine Skrupel, Rydzyks „Werk“ aus dem Haushalt zu finanzieren; diesen Tribut zollte die PiS bis Dezember 2023, dem Antritt einer neuen Regierung.

Giertych fordert ordnungsgemäße staatsanwaltliche Ermittlungen zu allen Subventionen für Radio Maryja und den Entzug der Lizenz wegen Verstoßes gegen das Konkordat. Bereits vor 11 Jahren reichte Giertych eine Klage gegen Rydzyk ein, weil TV Trwam Lügen über Giertych verbreitete. „Eine Soutane kann eine Person nicht vor Verantwortung schützen,“ sagte er TVN24. Viele Politiker fordern aus Angst keine Klarstellung von TV Trwam. Die Netzgemeinschaft präsentiert Fotos, wie hörig einst Giertych selbst war.

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