Polnische Regierung will Vorsitzenden der Landesmedienanstalt vor Staatsgerichtshof stellen

Mit einer 50-seitigen Anklageschrift will die regierende links-liberale Koalition Maciej Świrski, den Vorsitzenden der polnischen Landesmedienanstalt KRRiT, vor den Staatsgerichtshof stellen. Ein Antrag wurde am Donnerstag (9.5.) im Sejm eingereicht, erklärte Bartłomiej Sienkiewicz, Minister für Kultur und nationales Erbe. Die KRRiT verweigert seit Anfang des Jahres die Auszahlung von Abonnementeinnahmen an viele öffentlich-rechtliche Anstalten.

Maciej Świrski, Vorsitzender der polnischen Landesmedienanstalt KRRiT soll vor den Staatsgerichtshof gestellt werden (Bild: KRRiT)
Maciej Świrski, Vorsitzender des Landesmedienanstalt KRRiT (Bild: KRRiT)

Gleichzeitig verhängt sie Strafen an kommerzielle Sender wegen geäußerter Meinungen und unterlässt „statistische Tätigkeiten“, sagte Sienkiewicz. Świrski selbst bezeichnete sich als Taliban der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die ihn für sechs Jahre berufen hat. Seine Amtszeit endet regulär am 3. Oktober 2028.

Staatsgerichtshof

In Polen sichert die Verfassung der Medienaufsicht eine hohe Unabhängigkeit zu. Diese soll die Meinungsfreiheit schützen. Vertreter der verfassungsmäßigen Organe können wegen strafrechtlich relevanten Verfassungsverletzung vor den Staatsgerichtshof gestellt werden. Zu den höchsten Vertreter gehören u.a. der Präsident und Premierminister, sowie die Mitglieder des Rundfunkrates. 

Mindestens ein Viertel der Sejm-Abgeordneten müssen diesen Antrag unterzeichnen. Auch ein Untersuchungsausschuss kann einen Antrag beim Staatsgerichtshof stellen, wenn zwei Drittel der Ausschussmitglieder dafür stimmen – bei mind. 50-prozentiger Anwesenheit. Eine Verurteilung kann zum Verbot der Ausübung von Funktionen bei staatlichen Organen führen.

Kein Geld für öffentlich-rechtliche Anstalten

Die Post zieht in Polen Rundfunkgebühren ein, die Verteilung an die 18 Hörfunkanstalten und die Fernsehanstalt TVP führt die Landesmedienanstalt durch. Da die Einnahmen für den Betrieb in den vergangenen Jahren nicht ausreichten, unterstützte die PiS-Regierung die Anstalten allein im Jahr 2023 mit umgerechnet ca. 623 Mio. Euro. Am 13. Dezember 2023 nahm die linksliberale Koalition ihre Arbeit auf (Radioszene berichtete). Der rechtskonservativer Präsident legte ein Veto gegen den Haushaltsentwurf 2024 ein und stoppte so die Finanzspritze für die Anstalten. Daraufhin versetzte Minister Sienkiewicz die Anstalten in den Zustand der Liquidation, worauf KRRiT-Vorsitzender Świrski die Auszahlung der Abonnementeinnahmen stoppte. Świrski begründete es mit der neuen Rechtsform der Anstalten. Der Name der Aktiengesellschaften wurde um den Zusatz „in Liquidation“ ergänzt. Świrski verschob zuerst die Auszahlung, später überwies er die Rundfunkgebühren zur Verwahrung an Gerichte. Mehrere Gerichte lehnten die Verwahrung auf Grund fehlender Rechtsgrundlage ab, wogegen die KRRiT wiederum gerichtlich vorgeht. Das Ministerium für Kultur und nationales Erbe streckt die Rundfunkgebühren aus Eigenmitteln vor, damit die Anstalten den Betrieb nicht einstellen müssen und die Löhne ausgezahlt werden können. 

Świrski verstößt damit drastisch gegen das Gesetz. Gegen ihn wurde deswegen eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingereicht, sagt Sienkiewicz. Świrski versprach die Rundfunkgebühren an die Anstalten zu überweisen, nachdem Gerichte die „Liquidation“ bestätigt haben. Diese sind für das Handelsregister (KRS) in Polen zuständig. Trotz Umsetzung blieb die Auszahlung aus. Der TVP-Insolvenzverwalter Daniel Gorgosz forderte am 9. April mit seiner letzten Mahnung umgerechnet 33 Mio. Euro, das landesweite Polskie Radio 17 Mio. Euro von der KRRiT. Świrski versichert, dass die Überweisung erfolgt, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist.

Gegenseitiger Vorwurf der Einschüchterung

Wir betrachten dies als einen beispiellosen Versuch, die Landesmedienanstalt einzuschüchtern und Druck auszuüben, um Entscheidungen zu erreichen, die für die Exekutive günstig sind. Alle Entscheidungen der KRRiT werden in Übereinstimmung mit geltendem Recht getroffen, erklärten vier von fünf Mitgliedern des Rundfunkrats. Der Rundfunkrat wird sich dem Druck nicht beugen, ist Joanna Lichocka überzeugt. Die PiS-Abgeordnete sitzt seit 9 Jahren im Sejm und 8 Jahren im Rundfunkrat.

Das Vorgehen der KRRiT stuft Prof. Michał Romanow als rechtswidrig ein, denn Gerichte bestätigten die Liquidation bereits, sagte er gegenüber der Gazeta Prawna. Bedenken bezüglich der Arbeit des Rundfunkrats äußert auch Szymon Hołownia, Sejmmarschall und zweite Person in der protokollarischen Rangordnung Polens. Erwägt wird den Oberster Rechnungshof einzuschalten.

„Grober Verstoß gegen die Unparteilichkeit und Verfahrensverstoß“

Während der PiS-Regierung wurden viele kommerziellen Medien als „Feinde“ behandelt und nationale und römisch-katholische Medienanbieter dagegen hofiert. Świrski sieht sich als letzter Ritter der abgewählten Regierung, der ihre „Feinde“ disziplinieren kann. „Die Medien sollen Bürger in richtiger Weise informieren,“ fordert Świrski. Die Definition was „richtig“ ist, definiert er selbst, werfen ihm Kritiker vor. Wofür und in welcher Höhe eine Strafe verhängt wird, entscheidet Świrski in einer Person, meint Bartosz Węglarczyk, Chefredakteur von onet.pl. „Zensur durch Einschüchterung,“ nennt es Prof. Marcin Matczak von der Universität Warschau und beschreibt das Vorgehen: 

„Ich bestrafe Dich zuerst, damit Du das nächste Mal überlegst, ob Du eine Meinung äußerst, mit der ich nicht einverstanden bin.“

Neues Strafregister

Nach Amtseintritt Świrskis richtet die KRRiT die Rubrik „Beschlüsse des Vorsitzenden zur Bestrafung der Rundfunkveranstalter“ auf ihrer Homepage ein. 

Fall Radio Zet  – Strafe: 111.000 Euro

Ende Dezember 2022 informierte der Hörfunksender über den Transport des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch das polnische Staatsgebiet. Selenskyj war auf dem Weg nach Washington, wo er den US-Präsidenten Joe Biden traf und vor dem US-Kongress eine Rede hielt. Radio Zet berichtete, dass die Amerikaner die Polnischen Sicherheitsdienste im Unklaren ließen, wer im Sonderzug aus Kiew in Polen ankommen wird, weil ihr Vertrauen an die polnischen Sicherheitsorgane geschwunden ist. Radio Zet berief sich auf Informanten. KRRiT forderte Beweise und somit die Offenlegung der Quellen. Świrski warf Radio Zet Verstoß gegen die Staatsräson und das Gemeinwohl des Landes vor. (englische Version unten)

Radio TOK FM – 1. Fall  – Strafe: 18.600 Euro

Die KRRiT bestrafte Radio TOK FM wegen „Förderung rechtswidriger Aktivitäten, Ansichten und Einstellungen, die gegen die Moral und das gesellschaftliche Wohl verstoßen, sowie Inhalte, die zu Hass aufstacheln und diskriminierende Inhalte enthalten.“ In der Sendung „Erstes Frühstück“ wurde das neue Schulbuch für das umstrittene Schulfach „Geschichte und Gegenwart“ mit einem Geschichtslehrer rezensiert. Die KRRiT wirft dem Sender eine schlechte Vorbereitung der Sendung vor. Für das Interview wurden Zitate von zufälligen Fragmenten des Buches ausgewählt und nicht eine umfassende Analyse des gesamten Werks vorgenommen. Die Würde des Autors Wojciech Roszkowski und der Opfer des Zweiten Weltkriegs sei verletzt worden. (Begründung)

Radio TOK FM – 2. Fall  – Strafe: 20.730 Euro

Nach fünf Tagen Programmanalyse kam die KRRiT zu der Erkenntnis, dass in den Sendungen rechtswidrige Aktivitäten gefördert, zu Hass oder Gewalt aufstachelt und aufgrund politischer Überzeugungen und Ansichten Personen diskriminiert wurden. Das Staatsoberhaupt – der Präsident Andrzej Duda – wurde zwecks Verspottung „Adrian“ genannt und ist mit der gleichnamigen Figur aus der satirischen Serie „Das Ohr des Präsidenten“ gleichgesetzt worden. Später ist ein Vergleich mit dem französischen Komiker Louis de Funés gezogen worden. Bei diesem Ansatz wird der Präsident der Republik Polen nicht nur zu einem hilflosen Charakter (Adrian), sondern auch aufgrund seines Verhaltens zu einer lustigen Figur, wie einem Komiker, steht in der Begründung. 

Auch der Vergleich des Außenministers Prof. Zbigniew Rau mit dem ehemaligen kubanischen Diktator Fidel Castor, missfiel der KRRiT. Beide hätten eine gemeinsame Ausdauer bei ihren Reden bewiesen. Die KRRiT hielt auch diesen Vergleich für wenig witzig. „Dieses Vorgehen dient in erster Linie dazu, den Politiker lächerlich zu machen. (…) Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Meinungsäußerungen auf unterschiedliche Weise erfolgen können, auch auf die Art und Weise, wie sie bei Radio TOK FM erfolgt ist, d. h. auf beleidigende Weise und unter Verletzung der Würde der Person, die Gegenstand journalistischer Kritik ist.“

Strafen wegen Pornografie

Der Fernsehsender Zoom TV zeigte die Sendung „Die Magie der Nacktheit“ bereits um 23:02 Uhr, was die KRRiT zu einer Strafe von 9.320 Euro bewegte, während die Ausstrahlung des Films „Good Vibrations – Sex vom anderen Stern“ Polsat Film zusätzlich 5.800 Euro kostete. Die Aufsichtsbehörde war überzeugt, dass die Filme sich „negativ auf die ordnungsgemäße körperliche, geistige oder moralische Entwicklung von Minderjährigen auswirken können.“ TVN erwischte die KRRiT bei falscher Altersangabe der Sendung „Kunst der Liebe. Die Geschichte von Michalina Wisłocka“ und weil erwachsene Menschen gezeigt wurden, wie alle Menschen bei der Geburt aussehen, die Altersangabe mit „16 Jahren“ der KRRiT zu gering erschien, verhängte sie 4.700 Euro Strafe. 

Fall TVN24 – „Franziskaner Straße 3“ – Strafe: 128.000 Euro

Im Bischofspalast an der Franziskaner Straße 3 in Krakau befindet sich die Papstkapelle und das Papstzimmer. Während seiner Besuche in Polen residierte Papst Johannes Paul II dort und sprach aus dem Fenster im ersten Stock seinen Segen. In der Sendereihe „Schwarz auf Weiß“ suchte Autor Marcin Gutowski Beweise dafür, dass Karol Józef Wojtyla bereits als Kardinal über Pädophilie-Fälle in der Kirche unterrichtet wurde. Gutowski sprach mit den Opfern pädophiler Priester, mit deren Angehörigen, Zeugen und denjenigen, die den Kardinal angeblich persönlich über die Verbrechen informierten. Er entdeckte auch offizielle Dokumente, aus denen hervorgeht, wie Wojtyla auf die Vorwürfe von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester während seiner Amtszeit in Krakau reagierte.

Die KRRiT erreichten Beschwerden von Zuschauern. 6.058 Zuschriften mit 39.613 Unterschriften sind bei der Behörde eingegangen. Die KRRiT schaltete ihre Experten ein, die Objektivität und journalistischer Integrität in der Doku vermissten. Das Material sei voreingenommen, mit einer selektiven Auswahl von Quellen und einer ahistorischen Interpretation von Fakten und Ereignissen erstellt worden, heißt es in der Begründung. Die gesamte Erzählung wurde an die zuvor aufgestellte These angepasst, wirft die KRRiT dem Autor vor. Die Sendung soll gegen das Gesetz verstoßen, religiöse Gefühle der Katholiken verletzt und die öffentliche Meinung desinformiert haben. Die hohe Strafe begründet die KRRiT mit der hohen Einschaltquote (s.a. YouTube-Video).

TVN – 2. Fall – Strafe: 18.600 Euro

Im Juni 2022 spielte TVN in einer Nachrichtensendung statt eines Beitrags einen Werbespot ein. Die Ausstrahlung wurde nach wenigen Sekunden gestoppt, der Sender entschuldigt sich. 

Taub auf dem rechten Ohr, blind auf dem rechten Auge

Fall TV Republika

Die PiS-nahen Medien könnten weiterhin das Recht auf Meinungsfreiheit strapazieren ohne, dass ihnen ein Haar gekrümmt wird. Jan Pietrzak sagte kürzlich bei TV Republika: „Wir haben Baracken für Einwanderer in Auschwitz, Majdanek, Treblinka, Sztutowo.“ Świrski hält es für Satire und will kein Verfahren einleiten. Das Auschwitz-Museum schrieb daraufhin: „Die Instrumentalisierung des Schicksals von Menschen, die in deutschen Lagern ums Leben kamen, durch abscheuliche Anti-Migrations-Rhetorik ist ein beschämender und erschreckender Ausdruck moralischer und intellektueller Korruption.“

Fall TVP Info und Radio Szczecin

Im Dezember 2022 nannten TVP Info und Radio Szczecin genaue Informationen über Opfer eines Pädophilen. Sie verschwiegen weder das Alter der Kinder noch die Parteizugehörigkeit ihrer Mutter. Ein minderjähriges Opfer konnte so schnell identifiziert werden und nahm sich daraufhin das Leben. Maciej Świrski beabsichtigt nicht, eine Strafe gegen TVP Info und Radio Szczecin zu verhängen.

Verzögerungstaktik

Bei der Verlängerung der Zulassung von PiS-kritischen Medien ließ sich die KRRiT in den letzten Jahren besonders viel Zeit. Genau ein Jahr vor Ablauf der Zulassung müssen Konzessionsinhaber ihre Unterlagen einreichen. Werden die Unterlagen zu spät eingereicht, erlischt die Zulassung. Radio FaMa verlor 2022 nach 27 Jahren seine Zulassung. Die Frequenz ging an einen Wettbewerber.

TVN24 stellte seinen Antrag 18 Monate vor Ablauf der Zulassung und wartete 18 Monate auf die Verlängerung. Laut Gesetz soll die KRRiT binnen 60 Tagen entscheiden. In der Not und Angst vor Verlust der Zulassung wandte sich TVN24 an die niederländische Landesmedienanstalt „Commissariaat voor de Media“ und erhielt binnen 15 Tagen eine Zulassung, die in Kraft treten sollte, wenn die KRRiT eine Absage erteilt. TVN24 hat keinen terrestrischen Verbreitungsweg in Polen, die Verbreitung über Satelliten und Weiterverbreitung in Kabelnetzen wäre auch mit einer Zulassung aus jedem anderen EU-Land möglich gewesen. 

TOK FM wartete neun Monate auf eine erneute Zulassung. Für den Fernsehsender TVN erfand PiS ein Gesetz, dass das Vollprogramm vom Markt fegen sollte. Präsident Duda legte ein Veto gegen das Gesetz ein, nach dem Amerikaner mit Konsequenzen für die Beziehungen beider Länder drohten. 

Rückblick

Es ist der zweite Antrag in der Geschichte Polens den bzw. die KRRiT-Vorsitzende*n vor den Staatsgerichtshof zu stellen. Im Jahr 2005 wurde Danuty Waniek auf Initiative der Parteien Bürgerplattform (PO), Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Liga polnischer Familien vor den Staatsgerichtshof gestellt. Im Februar 2012 wurde das Verfahren rückwirkend für beendet erklärt.

Update vom 15. Mai 2024

Die Staatsanwaltschaft des Warschauer Bezirks Mokotów hat ein Ermittlungsverfahren gegen Maciej Świrski, den Vorsitzenden der polnischen Landesmedienanstalt KRRiT, eingeleitet. Świrski wird Pflichtverletzung und Überschreitung seiner Befugnisse im Zeitraum vom 10. Januar bis zum 1. April 2024 vorgeworfen.

Der Vorsitzende schuldet Polskie Radio die Abonnementeinnahmen von umgerechnet 15,9 Mio. Euro, sagt Paweł Majcher, Insolvenzverwalter und Chefredakteur der Anstalt im Interview mit der polnischen Presseagentur PAP, die ebenfalls zum öffentlich-rechtlichen Mediensystem in Polen gehört.

Das Gesetz über Abonnementgebühren schreibt vor, dass die KRRiT die Höhe und den Schlüssel festlegt, nach welchem Abonnementeinnahmen verteilt werden. Der KRRiT-Vorsitzende stellt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Mittel zur Verfügung, steht im Gesetz. Die Auszahlung im Januar, Februar und März verhinderte Świrski selbst, seiner Meinung nach ist die Rechtslage der Anstalten unklar.

Überschreiten Amtsträger ihre Befugnisse oder kommen ihren Pflichten nicht nach, droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Das kontinuierliche Handeln wird als ein Fall betrachtet. Świrski überwies die Abonnementeinnahmen zur gerichtlichen Verwahrung, was eine unzulässige Verteilung öffentlicher Mittel darstellt. Majcher zeigte ihn Ende Februar an.

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